Zahlungsumstellung SG Bremen 11. Kammer , Urteil vom 8.12. 2008 , Az: S 11 RJ 136/03

 

 

 

Der Bescheid vom 22.07.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.05.2003 wird aufgehoben.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

 

Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob die Entscheidung der Beklagten, den Rentenbescheid vom 18.5.2001 im Hinblick auf die Rentenhöhe rückwirkend für die Zeit März bis Mai 2002 abzuändern und die Überzahlung in Höhe von 800,88 € von dem Kläger zurückzufordern, rechtmäßig war.

 

Der am …1943 geborene Kläger bezog nach einem Leistungsfall vom 14.12.2000 von der Beklagten eine Rente wegen Berufsunfähigkeit, die mit Bescheid vom 18.5.2001 bewilligt wurde. Er ging seinerzeit noch einer Beschäftigung auf der ADI. Werft nach, war ab November 2001 in Altersteilzeit (ATZ) und die Arbeitsphase dauerte bis 31.10.2002. Der Kläger hatte neben dem Arbeitsentgelt Anspruch auf tarifliche Sonderzahlungen, die der Arbeitgeber üblicherweise im Mai und im Oktober eines Jahres auszahlte, bei den ATZ-Mitarbeitern allerdings monatlich.

 

Im streitigen Zeitraum März bis Mai 2002 lag für den Kläger die Hinzuverdienstgrenze für eine volle Berufsunfähigkeitsrente bei 1.426,67 €.

 

Die ADI. Werft bescheinigte gegenüber der Beklagten am 20.6.02 die Einkünfte der Monate Januar bis Mai 2002 mit der Erklärung, dass in der Altersteilzeit jeweils monatliche Sonderzahlungen in Höhe von 128,37 € erfolgten, anstelle der Zahlungen einmalig im Mai bzw. Oktober.

 

Die Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 4.7.02 dazu an, dass sie beabsichtige, den Rentenbescheid vom 18.5.2001 im Hinblick auf die Rentenhöhe rückwirkend für die Zeit März bis Mai 2002 abzuändern und die Überzahlung in Höhe von 800,88 € zurückzufordern.

 

Es seien Einkünfte erzielt worden, die Einfluss auf die Rentenhöhe hätten. Bei Altersteilzeit sei nach dem ATG der Arbeitsverdienst – und zwar das Brutto-Arbeitsentgelt, zuzügl. dem Aufstockungsbetrag - gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ATG maßgebend. Er habe im März 2002 € 1.430,54, im April 2002 € 1.440,11 und im Mai 2002 € 1.582,42 erhalten.

 

Im ursprünglichen Rentenbescheid vom 18.5.2001 sei er darauf hingewiesen worden, dass die Hinzuverdienstgrenzen einzuhalten seien, und dass bei Überzahlungen eine Rückforderung eintreten werde.

 

Der Kläger teilte der Beklagten mit, er erhalte die Sonderzahlungen nicht als einmalige Sonderzuwendungen, vielmehr würden sie gleichmäßig auf die einzelnen Monate des Jahres verteilt. Nach seiner Einschätzung müssten diese Sonderzahlungen aus den monatlichen Hinzuverdiensten herausgerechnet werden, weil sie als Einmalzahlungen wegen der zweimaligen Überschreitensmöglichkeiten auch nicht zu Buche schlügen.

 

Die Beklagte forderte mit Bescheid vom 22.7.2002 für die Monate März, April und Mai 2002 wegen Überschreitens der Hinzuverdienstgrenze die überzahlte Rente in Höhe von 800,88 € von dem Kläger zurück. Seiner Argumentation könne nicht zugestimmt werden. Die sog. Aufstockungsbeträge stellten gem. § 163 Abs. 5 SGB VI beitragspflichtiges Entgelt dar, welches beim Hinzudienst gem. § 96 a SGB VI zu berücksichtigen sei.

 

Der Kläger nahm Rücksprache mit seinem Arbeitgeber und teilte der Beklagten mit seinem am 7.8.02 eingelegten Widerspruch mit, sein Arbeitgeber habe die bereits gezahlten Beträge aus den monatlichen Zahlungen wieder herausgenommen und als zusätzliche Einmalzahlung ausgewiesen. Die Trennung von Sonderzahlungen und regelmäßigen monatlichen Arbeitsentgelten sei damit gegeben.

 

Vom Arbeitgeber erhielt die Beklagte die Einkünfte des Klägers am 11.12.2002 wie folgt bescheinigt:

Januar 2002 € 1.304,41

Februar 2002 € 1.294,07

März 2002 € 1.299,28

April 2002 € 1.308,85

Mai 2002 € 2.176,18 davon 753,38 € Urlaubsgeld gezahlt 12.6.2002

Juni 2002 € 1.326,52

Juli 2002 € 528,51 - ab 13.7. bis 16.9.02 krank ohne Lfz -

August 2002 € 138,41

September 2002 € 632,98

Oktober 2002 € 1.347,02 + 852,03 davon 875,-- Sonderzahlung gezahlt am 12.11.2002

November 2002 € 1.340,20

Dezember 2002 € 1.340,20

 

 

Mit Schreiben vom 5.3.2003 informierte die Beklagte den Kläger darüber, dass sie für die Zeit ab Juni 2002 eine erneute Prüfung der Hinzuverdienstgrenzen vornehmen werde, aber für die Monate März, April, Mai 2002 eine Änderung nachträglich nicht möglich sei.

 

Der Kläger hat seinen Widerspruch aufrecht erhalten und gemeint, dass der Bescheid vom 22.7.2002 wegen seines Widerspruchs nicht bestandskräftig geworden sei und die vom AG mitgeteilten Verdienste für das gesamte Jahr 2002 Berücksichtigung finden müssten.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 7.5.2003 hat der Widerspruchsausschuss den Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen und ausgeführt, die nach dem ATG maßgebenden Bruttoentgelte im Zeitraum März bis Mai 2002 hätten die maßgebliche Hinzuverdienstgrenze für die volle Berufsunfähigkeitsrente überschritten. Die während des Widerspruchsverfahrens übersandte neue Verdienstbescheinigung mit Einmalzahlungen könne nur für die Zukunft gelten, weshalb der Bescheid vom 22.7.2002 nicht zu beanstanden sei. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X seien gegeben, mit der Folge der rückwirkenden Aufhebung ab Änderung der Verhältnisse und zwingenden Rückforderung der Leistung, da hier kein atypischer Fall gegeben sei.

 

Mit seiner am 3.6.03 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und trägt zur Begründung vor, er habe der Beklagten Unterlagen zukommen lassen, aus denen sie die Zusammensetzung seines Arbeitsverdienstes ersehen könne: Arbeitsentgelt plus Urlaubs- und Weihnachtsgeld plus Aufstockungsbetrag. Die Sonderzahlungen seien dem Arbeitsentgelt zugeschlagen worden und seien deshalb bei der Hinzuverdienstberechnung nicht zu berücksichtigen. Die vom Arbeitgeber mitgeteilten Verdienste könnten sicherlich auch für die Vergangenheit berücksichtigt werden, weil der Bescheid vom 22.7.02 wegen seines Widerspruchs nicht bestandskräftig geworden und die Arbeitsentgelte tatsächlich rückabgewickelt worden seien.

 

Der Kläger beantragt,

 

den Bescheid vom 22.7.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.5.2003 aufzuheben.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Die Beklagte hält ihre Bescheide für rechtsmäßig.

 

Sie weist darauf hin, dass die Rückforderung den Zeitraum 1.3. bis 31.5.2002 betreffe, und für diesen Zeitraum die ursprüngliche Verdienstbescheinigung maßgebend sei, aus der sich die Zahlung von Aufstockungsbeträgen ergebe. Diesen Angaben habe der Kläger im Gespräch vom 12.7.2002 nicht widersprochen. In seiner Widerspruchsbegründung vom 14.8.2002 habe er selbst angegeben, dass die Zahlungen monatlich erfolgten. Eine nachträgliche Änderung der Arbeitsentgelte könne nicht vorgenommen werden. Bei der Entscheidung hinsichtlich des Überschreitens der Hinzuverdienstgrenze sei das tariflich geschuldete und nicht das lediglich gezahlte laufende Arbeitsentgelt maßgeblich. Auch wenn die Sonderzahlungen zweimal jährlich gezahlt wurden, bestand der Anspruch auf eine monatliche Zahlung.

 

Die ADI. Werft in C-Stadt gab mit Schreiben vom 18.7.2008 eine ergänzende Erklärung ab: Der seinerzeit in Altersteilzeit sich befindende Kläger habe auch Anspruch auf tarifliche Sonderzahlungen gehabt, die üblicherweise im Mai und im Oktober eines Jahres ausgezahlt würden, jedoch bei ATZ-Mitarbeitern monatlich. Da in seinem Fall die monatliche Auszahlung der tariflichen Sonderzahlungen mit der zulässigen Hinzuverdienstgrenze kollidierte, seien die monatlichen Auszahlungen rückabgewickelt und rückwirkend auf zweimal jährlich verteilt worden.

 

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten werden die Verwaltungs- und die Prozessakte ergänzend in Bezug genommen. Sie haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen.

 

Entscheidungsgründe

 

Die zulässige Klage ist begründet.

 

Die Bescheide der Beklagten verletzen den Kläger in seinen Rechten, weil die Beklagte nicht berücksichtigt hat, dass hier wegen einer Atypik Ermessen hätte ausgeübt werden müssen.

 

Nach § 48 Absatz 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen nach Erlass des Verwaltungsaktes eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung, soweit der Verwaltungsakt nach der Änderung der Verhältnisse so, wie er erlassen wurde, nicht mehr erlassen werden dürfte. Somit muss eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse so erheblich sein, dass sie rechtlich zu einer anderen Bewertung führen muss bzw. eine materiell-rechtliche Änderung sich auf den Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes auswirken (vgl. Schütze, in: von Wulffen, SGB X - Kommentar, § 48 Rz. 12).

 

Die Aufhebung „soll“ für die Vergangenheit erfolgen, soweit die in § 48 Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 bis 4 SGB X bezeichneten Tatbestände vorliegen. Nach Nr. 3 „soll“ die Aufhebung für die Vergangenheit erfolgen, soweit nach Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde.

 

Da gem. §§ 313, 96 a SGB VI Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bzw. wegen Berufsunfähigkeit in Abhängigkeit von bestimmten Hinzuverdienstgrenzen in voller Höhe, in Höhe von 2/3 oder in Höhe von 1/3 gezahlt werden, ist grundsätzlich bei Überschreitungen der maßgeblichen Grenzen eine Aufhebung für die Vergangenheit ab Änderung der Verhältnisse gesetzlich vorgesehen.

 

Das Wort "soll" in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X bedeutet, dass der Versicherungsträger in der Regel den Verwaltungsakt rückwirkend – ab Änderung der Verhältnisse - aufheben muss, er jedoch in atypischen Fällen nach seinem Ermessen hiervon ganz oder teilweise abweichen kann (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BSG, Urt. vom 31.1.2008 - B 13 R 23/07 R -).

 

Dabei ist stets auf den Zweck der jeweiligen Regelung des § 48 Absatz 1 Satz 2 SGB X und die Umstände des Einzelfalls abzustellen.

 

§ 48 SGB X ist eine reine Verfahrensvorschrift, die die Angleichung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung an wesentlich veränderte tatsächliche oder rechtliche Verhältnisse regelt und unter bestimmten Voraussetzungen materielle Rückwirkungen bei der Herabsetzung laufender Leistungen zulässt.

 

Die Abhängigkeit der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit dient sozialpolitisch dem Ziel, bei Hinzuverdiensten diese Renten derart abzusenken, um im Vergleich zu dem Einkommen vor Eintritt des Versicherungsfalles keine Überversorgung eintreten zu lassen.

 

Ein atypischer Fall liegt vor, wenn der Einzelfall auf Grund seiner besonderen Umstände von dem Regelfall der Tatbestände nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X, die die Aufhebung des Verwaltungsaktes für die Vergangenheit gerade rechtfertigen, signifikant abweicht und die vorgesehene Rechtsfolge für den Betroffenen eine unverhältnismäßige Härte darstellen würde.

 

Diese Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, ist als Rechtsvoraussetzung im Rechtsstreit von den Gerichten zu überprüfen und zu entscheiden und nicht losgelöst davon zu beurteilen, welcher der in den Nummern 1 bis 4 vorausgesetzten Tatbestände erfüllt ist. Zu berücksichtigen ist auch die Frage, ob die Regelung den Betroffenen in untypischer Weise übermäßig belastet, im Einzelfall eine Härte bedeutet und deshalb unzumutbar ist (vgl. BSG, Urt. v. 31.1.2008, aaO; Steinwedel in: Kasseler Kommentar, § 48 SGB X, Rz. 37).

 

Im vorliegenden Fall sieht die Kammer Anhaltspunkte für die Annahme eines atypischen Falles.

 

Gemäß § 96 a Abs. 1 SGB VI – in der hier ab 1.1.2002 maßgeblichen Fassung - wird eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur geleistet, wenn das für denselben Zeitraum erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen aus einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit die in Abs. 2 genannten, auf einen Monat bezogenen Beträge nicht übersteigt, wobei ein zweimaliges Überschreiten um jeweils einen Betrag bis zur Höhe der Hinzuverdienstgrenze nach Abs. 2 im Laufe eines Kalenderjahres außer Betracht bleibt.

 

§ 313 Abs. 1 SGB VI regelt u.a. für am 31.12.2000 bestehende Ansprüche auf Berufsunfähigkeitsrente, dass die Anrechnungsregelung des § 96 a unter Beachtung der Hinzuverdienstgrenzen des § 313 Abs. 3 SGB VI auch für diese Berufsunfähigkeitsrenten gilt und Berufsunfähigkeitsrente nur geleistet wird, wenn diese Hinzuverdienstgrenzen nicht überschritten werden.

 

Die entsprechende Grenze hat die Beklagte für eine volle Berufsunfähigkeitsrente mit € 1.426,67 angegeben.

 

Wenn auch die Anrechnungs- und Hinzuverdienstvorschriften grundsätzlich zutreffend angewandt wurden, so gibt der vorliegende Tatbestand doch Anlass für die Annahme einer Atypik mit der Verpflichtung zur Ermessensausübung, weil Umstände vorliegen, die wegen der jährlich in zwei Monaten erlaubten Überschreitung der Hinzuverdienstgrenze eine andere Einschätzung des Sachverhalts bezüglich der Überzahlung ermöglichen. Es geht um die Erzielung von Einkünften, die (wegen ihrer Aufteilung) zur Minderung des Anspruchs führen (§ 48 Abs. 1 Nr. 3 SGB X).

 

Nach der Arbeitgeberauskunft hatte der Kläger auch in der Altersteilzeit Anspruch auf tarifliche Sonderzahlungen, die üblicherweise im Mai und im Oktober eines Jahres ausgezahlt wurden, jedoch bei ATZ-Mitarbeitern monatlich. Lediglich diese – zunächst - andere Zahlungs- und Zuordnungsweise seitens des Arbeitgebers, die sogar noch während des Vorverfahrens rückabgewickelt wurde, erbrachte die Überschreitung. Die betriebsüblichen zweimal jährlich ausgezahlten Sonderzuwendungen kollidierten dagegen nicht mit der in § 96 a SGB VI erlaubten, rentenunschädlichen zweimaligen Überschreitensmöglichkeit um jeweils einen Betrag bis zur Höhe der Hinzuverdienstgrenze.

 

Hinzu kommt, dass die Überschreitensbeträge insgesamt für drei Monate nur ca. 170 € ausmachten, wohingegen sich die Rückforderung auf 800,88 € beläuft. Angesichts der bereits genannten sozialpolitischen Intention der Hinzuverdienstgrenzen, nämlich keine Überversorgung eintreten zu lassen, hält die Kammer den Kläger mit der hier getroffenen Regelung in untypischer Weise für unzumutbar belastet.

 

Zusammenfassend sah sich die Kammer hier veranlasst, insgesamt bezüglich des Zustandekommens der Rückforderung und bezüglich deren Höhe, einen atypischen Fall zu sehen, mit der Folge, dass eine Ermessensentscheidung hätte getroffen werden müssen. Das hat die Beklagte jedoch nicht getan, weil nach ihrer Einschätzung keine Atypik gegeben war.

 

Die Bescheide der Beklagten waren diesbezüglich zu beanstanden. Sie verletzen den Kläger in seinen Rechten und waren daher aufzuheben.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

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