Hinweispflichten nach § 115 Abs.6 SGB VI Landessozialgericht Schleswig-Holstein Urteil v. 15.4.2004 - L 5 RJ 136/03

 

 

Leitsatz

 

 

Ein geeigneter Fall für einen Hinweis nach § 115 Abs 6 SGB 6 liegt auch dann vor, wenn ein Versicherter eine unbefristete Rente wegen Berufsunfähigkeit bezieht und nachfolgend einen Anspruch auf Altersrente nach § 37 SGB 6 (iVm § 236a SGB 6 ) erwirbt.

 

 

 

Tenor

 

 

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 28. August 2003 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

Tatbestand

 

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Die Beteiligten streiten über den Beginn der dem Kläger zu gewährenden Altersrente für Berufsunfähige.

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Der 1937 geborene Kläger durchlief vom 1. April 1953 bis zum 30. September 1956 eine Berufsausbildung zum Landwirt und entrichtete 42 Monate Pflichtbeiträge. Anschließend besuchte er vom 1. Oktober 1956 bis zum 31. März 1957 die Fachschule. Vom 1. Januar 1964 bis zum 28. Februar 1969 war er als landwirtschaftlicher Gehilfe beschäftigt und entrichtete 62 Monate Pflichtbeiträge. Vom 1. März 1969 bis zum 30. November 1994 war er als selbstständiger Landwirt freiwillig versichert. Mit Wirkung vom 1. Dezember 1994 gab er seine Erwerbstätigkeit auf, zahlte aber weiterhin freiwillige Beiträge. Ausweislich des Versicherungsverlaufs vom 1. Dezember 1997 waren im Versicherungskonto des Klägers bis zum 31. August 1997 108 Pflichtbeiträge und 342 freiwillige Beiträge gespeichert.

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Am 12. Februar 1997 ließ sich der Kläger in der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten in M. durch den Sachbearbeiter R. beraten. Laut Tagebucheintrag kamen dabei die §§ 43 f., 240 f. und § 36 f. des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) zur Sprache. In einer von R. am 25. April 2001 abgegebenen Stellungnahme heißt es sinngemäß: Da die Altersgrenze der Altersrente für langjährig Versicherte für den Kläger bereits angehoben gewesen sei, werde er ihm aufgezeigt haben, wie er eine Kürzung seiner Altersrente umgehen könne. Hierzu werde er ihn zunächst über die Voraussetzungen der Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige informiert haben. Da der Kläger die erforderliche Wartezeit von 420 Monaten noch nicht erfüllt gehabt habe, werde er ihm empfohlen haben, zunächst Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit in Anspruch zu nehmen und nach Erfüllung der Wartezeit die Umwandlung in eine Altersrente zu beantragen. Auf die Möglichkeit der Umwandlung werde er mit Sicherheit hingewiesen haben. Die Beratung über einzelne Rentenarten beinhalte bei ihm immer auch den Hinweis auf den frühestmöglichen Rentenbeginn sowie die rechtzeitige Antragstellung. Abschließend wurden Anträge des Klägers auf Kontenklärung sowie auf Auskunft über die Höhe der Beitragszahlung zum Ausgleich einer Rentenminderung bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters aufgenommen.

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Mit Schreiben vom 25. März 1997 erteilte die Beklagte dem Kläger die Rentenauskunft. Darin ist ausgeführt: Eine Rente werde nur gezahlt, wenn die Wartezeit und die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt seien und ein Rentenantrag gestellt sei. Für die Altersrente für Berufsunfähige seien 408 Monate (396 Monate Beitragszeit und 12 Monate Anrechnungszeit) zu berücksichtigen. Die Wartezeit für eine Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit sei erfüllt. Die Wartezeit für eine Altersrente für Berufsunfähige betrage 35 Jahre und sei noch nicht erfüllt.

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Mit Schreiben vom 2. April 1997 erteilte die Beklagte dem Kläger die Auskunft über die Höhe der zum Ausgleich der Rentenminderung bei vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente wegen Alters erforderlichen Beitragszahlung.

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Am 13. August 1997 ließ sich der Kläger erneut durch R. beraten. Ausweislich des Tagebucheintrags sowie der Stellungnahme des R. vom 25. April 2001 wurden dabei nochmals die Altersrenten nach §§ 36 f. SGB VI , die Erwerbsminderungsrenten nach §§ 43 f. SGB VI und die Entrichtung freiwilliger Beiträge nach § 7 SGB VI besprochen. Zum Abschluss des Beratungsgespräches stellte der Kläger einen Antrag auf Rente wegen Berufsunfähigkeit.

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Mit Bescheid vom 31. Oktober 1997 bewilligte die Beklagte Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. September 1997. Ausweislich des beigefügten Versicherungsverlaufs ging sie dabei davon aus, dass der Kläger bis zum 31. August 1997 404 Beiträge (62 Pflichtbeiträge und 342 freiwillige Beiträge) entrichtet habe.

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Mit Schreiben vom 12. November 1997 führte der Kläger weitere Nachweise zu seiner Lehrzeit. Ferner zahlte er bis Dezember 1997 zusätzliche freiwillige Beiträge in der Annahme, hierdurch die Wartezeit von 35 Jahren im Dezember 1997 zu erfüllen. Die von der Beklagten bereits im Oktober 1997 beabsichtigte Einstellung der Beitragsabbuchung fand auf telefonische Intervention des Klägers erst im Dezember 1997 statt. Eine gesonderte Belehrung des Klägers über die Erforderlichkeit eines Antrages auf Umwandlung der Rente wegen Berufsunfähigkeit in eine Altersrente für Berufsunfähige nahm die Beklagte in diesem Zusammenhang nicht vor.

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Mit Bescheid vom 1. Dezember 1997 stellte die Beklagte die Rente wegen Berufsunfähigkeit unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich nachgewiesenen Zeiten der Berufsausbildung neu fest. Ausweislich des beigefügten Versicherungsverlaufs legte sie nunmehr bis zum 31. August 1997 450 Beiträge (108 Pflichtbeiträge und 342 freiwillige Beiträge) zugrunde. Ein Hinweis an den Kläger auf die nunmehr auch erfüllte Wartezeit für einen Anspruch auf Altersrente für Berufsunfähige erfolgte nicht.

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Am 12. Oktober 2000 stellte der Kläger den Antrag auf Altersrente für Berufsunfähige. Zugleich bat er zu prüfen, warum er nicht "damals im Rentenbescheid" darauf hingewiesen worden sei, dass er die Voraussetzungen für eine Altersrente bereits erfüllt habe. In diesem Falle hätte er sofort die Umwandlung in eine Altersrente beantragt.

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Mit Bescheid vom 27. Oktober 2000 bewilligte die Beklagte dem Kläger anstelle der Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. Oktober 2000 Altersrente für Berufsunfähige. Die Umwandlung zu einem früheren Zeitpunkt lehnte sie ab. Zur Begründung führte sie aus: Vorgezogene Altersrenten würden nur auf Antrag gewährt. Vor Antragstellung sei der Kläger mit Rentenauskunft vom 25. März 1997 darauf hingewiesen worden, dass er auch die Voraussetzungen für eine Altersrente wegen Berufsunfähigkeit erfülle. Er habe am 13. August 1997 aber lediglich Rente wegen Berufsunfähigkeit beantragt. Eine Falschberatung durch die Auskunftsstelle sei nicht erfolgt.

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Mit seinem Widerspruch begehrte der Kläger die Bewilligung der Altersrente für Berufsunfähige ab 1. Januar 1998. Er führte aus: Die Beklagte habe ihm mit Schreiben vom 29. Oktober 1997 mitgeteilt, dass die Beitragsabbuchung mit Ablauf des Monats Oktober 1997 eingestellt werde. Er habe deshalb telefonisch darum gebeten, noch zwei weitere Monatsbeiträge zur Erreichung der 35-jährigen Wartezeit abzubuchen. Dies sei akzeptiert worden. Er sei aber nicht darauf hingewiesen worden, dass er dann zum 1. Januar 1998 nochmals einen Antrag auf Umwandlung der Rente wegen Berufsunfähigkeit in eine Altersrente für Berufsunfähige stellen müsse.

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Die Beklagte zog unter anderem eine Stellungnahme des Sachbearbeiters K. vom 31. Januar 2001, die Tagebucheintragungen vom 12. Februar 1997 und 13. August 1997 und die Stellungnahme des R. vom 25. April 2001 bei. Alsdann wies sie den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 4. Juli 2001 zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Der Kläger habe den erforderlichen Umwandlungsantrag erst am 12. Oktober 2000 gestellt. Somit liege ein verspäteter Rentenantrag im Sinne des § 99 Abs. 1 SGB VI vor mit der Folge, dass die beantragte Altersrente erst mit Beginn des Antragsmonats geleistet werde. Eine fehlerhafte Beratung bzw. Nichtberatung durch die Beklagte sei nicht zu erkennen. In der Rentenauskunft vom 25. März 1997 sei unmissverständlich darauf hingewiesen worden, dass Rente nur gezahlt werde, wenn auch ein Rentenantrag gestellt sei. Des Weiteren sei die zurückgelegte Wartezeit mit 408 Kalendermonaten angegeben worden. Daraufhin habe der Kläger weitere freiwillige Beiträge abbuchen lassen, bis er im Dezember 1997 die Wartezeit von 420 Monaten erfüllt habe. Daraus folge, dass er über die Voraussetzungen des Anspruchs auf Altersrente für Berufsunfähige informiert gewesen sei. Wenn er es gleichwohl unterlassen habe, einen Antrag auf Gewährung einer solchen Rente zu stellen, so sei dies jedenfalls nicht auf Grund einer fehlerhaften Beratung geschehen. Ein sozialrechtlicher Wiederherstellungsanspruch sei nicht gegeben.

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Mit seiner deswegen am 25. Juli 2001 bei dem Sozialgericht Itzehoe erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt und vorgetragen: Die Beklagte habe ihre sich aus den §§ 13, 14 und 15 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I) ergebenden Aufklärungs-, Beratungs- und Auskunftspflichten nicht hinreichend erfüllt. Zumindest nach Erreichen der Wartezeit von 420 Kalendermonaten hätte sie ihn ausdrücklich auf die Möglichkeit eines Umwandlungsantrages hinweisen müssen. Möglicherweise habe auch eine Umdeutung des Antrages vom 13. August 1997 erfolgen müssen. Im übrigen habe er sich nach der Beitragsabbuchung im Dezember 1997 noch zweimal an die Beklagte gewandt und dabei jeweils die Auskunft erhalten, er könne Altersrente für Berufsunfähige erst 8 Monate nach seinem 63. Geburtstag erhalten.

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Der Kläger hat beantragt,

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1. den Bescheid der Beklagten vom 27. Oktober 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. Juli 2001 abzuändern, 2. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die Altersrente für Berufsunfähige bereits ab 1. Januar 1998 zu gewähren. 3.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie hat sich auf die getroffenen Verwaltungsentscheidungen bezogen.

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Mit Urteil vom 28. August 2003 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 27. Oktober 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. Juli 2001 abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger die Altersrente für Berufsunfähige bereits ab 1. Januar 1998 zu bewilligen. In den Entscheidungsgründen hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger sei auf Grund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu behandeln, als hätte er den Antrag bereits im Januar 1998 gestellt. Dies habe zur Folge, dass ihm die Altersrente bereits ab 1. Januar 1998 zu zahlen sei. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ergebe sich aus einer Verletzung der Hinweispflicht nach § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI durch die Beklagte. Der Kläger gehöre zu einer geeigneten Fallgruppe im Sinne dieser Vorschrift. Die Anspruchsvoraussetzungen einer Rente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige nach § 37 SGB VI könne die Beklagte anhand der im Versicherungskonto gespeicherten Daten feststellen. Der Kläger habe auch im Januar 1998 noch keinen Rentenantrag gestellt. Die Beklagte sei deshalb grundsätzlich verpflichtet gewesen, ihm den Hinweis nach § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI zu geben, weil sie durch die Neuberechnung der Berufsunfähigkeitsrente und die Annahme der letzten freiwilligen Beiträge Einblick in sein Versicherungskonto gehabt habe. Es liege auch kein atypischer Fall vor. Die Beklagte habe Anfang 1998 nicht davon ausgehen dürfen, dass der Kläger über die Möglichkeit und die Voraussetzungen einer Inanspruchnahme von Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige hinreichend informiert gewesen sei. Insbesondere könne sie sich nicht auf die Rentenauskunft vom 25. März 1997 berufen, da diese die Voraussetzungen für die begehrte Rente nicht hinreichend beschreibe. Aus dem Umstand, dass der Kläger an der Erfüllung der 35-jährigen Wartezeit interessiert gewesen sei, könne nicht zwangsläufig geschlossen werden, dass er über die Voraussetzungen des Anspruchs auf Altersrente wegen Schwerbehinderung, Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit im Bilde gewesen sei. Die Verletzung der Hinweispflicht sei auch ursächlich dafür gewesen, dass der Kläger nicht bereits bei Erfüllung sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen einen Rentenantrag gestellt habe. Anhaltspunkte dafür, dass er dies aus anderen Gründen unterlassen habe, gebe es nicht.

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Gegen dieses am 9. Oktober 2003 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, welche am 3. November 2003 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Sie gehe davon aus, dass der Kläger durch die 2-fache Beratung am 12. Februar und 13. August 1997 über die Wartezeiten und die Auswirkungen der vorzeitigen Inanspruchnahme einer Altersrente zeitnah vor dem frühestmöglichen Rentenbeginn, der Vollendung des 60. Lebensjahres, umfassend aufgeklärt worden sei. Er sei sich offensichtlich auch über die Konstellation seines Falls im Klaren gewesen, da er im August 1997 lediglich einen Antrag auf Rente wegen Berufsunfähigkeit gestellt und die weitere Abbuchung freiwilliger Beiträge durch die Beklagte veranlasst habe. Der von § 115 Abs. 6 SGB VI verlangte Hinweis sei durch R. ausdrücklich erfolgt, und zwar sogar in Kenntnis des Umstandes, dass zum Zeitpunkt des Hinweises die erforderliche Wartezeit noch nicht erfüllt gewesen sei. Insofern sei bereits fraglich, ob überhaupt ein geeigneter Fall im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gegeben gewesen sei. Aus dem Rentenbescheid vom 1. Dezember 1997 habe der Kläger weitere Informationen entnehmen können. Unter Ziffer 6 der „Erläuterungen zum Rentenbescheid" seien Hinweise zum Rentenbeginn erfolgt. Danach habe der Kläger erkennen können, dass Altersrente grundsätzlich von dem Kalendermonat an geleistet werde, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt seien und dass die Rente innerhalb von drei Kalendermonaten nach Ablauf dieses Monats beantragt worden sein müsse. Unter Ziffer 7 werde darauf hingewiesen, dass auf Antrag anstelle der Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit jeweils andere Rentenarbeiten bewilligt werden könnten. Unter Ziffer 7.1 werde explizit der vorliegende Fall erläutert. Die vom Sozialgericht vertretene Auffassung, die Beklagte habe ihre Hinweispflicht aus § 115 Abs. 6 SGB VI verletzt, könne nach alledem nicht nachvollzogen werden. Es bestehe kein Raum für einen Herstellungsanspruch.

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Der Beklagte beantragt,

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das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 28. August 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Er bezieht sich auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils, welche er für zutreffend hält.

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Die den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen. Auf ihren Inhalt wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.

 

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Entscheidungsgründe

 

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I. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung.

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II. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft (vgl. § 143 SGG ) und bedarf keiner Zulassung, weil sie laufende Rentenleistungen für mehr als ein Jahr betrifft (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG ). Frist und Form ( § 151 Abs. 1 und 3 SGG ) sind gewahrt.

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III. Die Berufung ist aber nicht begründet. Das angefochtene Urteil, mit welchem das Sozialgericht den Bescheid vom 27. Oktober 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. Juli 2001 abgeändert und die Beklagte verurteilt hat, dem Kläger die Altersrente für Berufsunfähige bereits ab 1. Januar 1998 zu bewilligen, ist nicht zu Lasten der Beklagten unrichtig. Ob eine Beschwer des Klägers vorliegt, ist nicht zu prüfen, weil dieser keine Berufung eingelegt hat.

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1. Allein aus der gesetzlichen Regelung über den Rentenbeginn ist der Anspruch des Klägers nicht herzuleiten. Gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Wird der Antrag hingegen erst nach der Drei-Monats-Frist gestellt, so kommt eine Rentenleistung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI erst vom Antragsmonat an – hier also ab Oktober 2000 - in Betracht.

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2. Der Kläger ist jedoch im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu behandeln, als hätte er den Antrag auf Umwandlung seiner Rente wegen Berufsunfähigkeit in die Altersrente für Berufsunfähige ab 1. Januar 1998 rechtzeitig i. S. d. § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI gestellt. Dieses von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsinstitut ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des sozialrechtlichen Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger die ihm auf Grund eines Gesetzes oder konkreten Sozialrechtsverhältnisses dem Versicherten gegenüber erwachsenden Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung, ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (vgl. z. B. BSG SozR 3-1200 § 14 Nr. 12 m. w. N.; BSG SozR 3-2600 § 58 Nr. 2). Demnach kommt es insbesondere auf folgende Voraussetzungen an: Erstens muss die verletzte Pflicht dem Träger gerade gegenüber dem Versicherten obliegen, die zugrundeliegende Norm letzterem also ein entsprechendes subjektives Recht eingeräumt haben (dazu nachfolgend unter a). Zweitens muss die objektiv rechtswidrige Pflichtverletzung - zumindest gleichwertig neben anderen Bedingungen - einen Nachteil des Versicherten bewirkt haben (dazu nachfolgend unter b). Drittens muss die verletzte Pflicht im Sinne eines sog. Schutzzweckzusammenhangs darauf gerichtet gewesen sein, den Betroffenen gerade vor den eingetretenen Nachteilen zu bewahren (dazu nachfolgend unter c). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

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a) Die Beklagte hat sowohl ihre Beratungs- und Auskunftspflicht nach § 14 SGB I , als auch ihre Hinweispflicht nach § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI verletzt.

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aa) Nach § 14 SGB I hat jeder Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach diesem Gesetzbuch. Zuständig für die Beratung sind die Leistungsträger, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die Pflichten zu erfüllen sind. Deren Beratungspflicht entsteht sowohl bei einem ausdrücklich an sie herangetragenen Auskunfts- und Beratungsbegehren, als auch bei einem konkreten Anlass zu einer sog. Spontanberatung.

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Im vorliegenden Fall kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger – wie er vorträgt - nach dem 13. August 1997 nochmals ausdrücklich um Beratung durch die Beklagte nachgesucht hat.

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Denn jedenfalls bestand im Dezember 1997 ein konkreter Anlass für eine Spontanberatung. Ein solcher entsteht allerdings im Rahmen der Massenverwaltung nicht schon bei einer automatisierten Bearbeitung des Versicherungs- oder Leistungsverhältnisses des betreffenden Versicherten, sondern nur dann, wenn sich ein Sachbearbeiter persönlich hiermit befassen muss, und sich dabei klar zutage liegende Gestaltungsmöglichkeiten ergeben, die sich als offensichtlich zweckmäßig aufdrängen und die jeder verständige Versicherte mutmaßlich nutzen würde. Diese Voraussetzungen waren hier erfüllt. Das Versicherungs- und Leistungsverhältnis des Klägers bedurfte einer persönlichen Überprüfung durch einen Sachbearbeiter der Beklagten, weil die Nachweise zu seiner Lehrzeit zu würdigen waren, die der Kläger mit Schreiben vom 12. November 1997 beigebracht hatte. Diese Überprüfung hat ausweislich des Neufeststellungsbescheides vom 1. Dezember 1997 auch stattgefunden und zu dem Ergebnis geführt, dass der Kläger bis zum 31. August 1997 statt der ursprünglich angenommenen 404 Beiträge tatsächlich 450 Beiträge entrichtet hatte. Diese Differenz wirkte sich nicht nur erhöhend auf die seit dem 1. September 1997 gewährte Rente wegen Berufsunfähigkeit aus sondern bewirkte gleichzeitig, dass der Kläger die 35-jährige Wartezeit für die Altersrente für Berufsunfähige entgegen den Auskünften vom 12. Februar und 13. August 1997 bereits vor Dezember 1997 erfüllt hatte und offensichtlich Gefahr lief, durch Unterlassen des gebotenen Umwandlungsantrages innerhalb der Drei-Monats-Frist des § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI materielle Ansprüche zu verlieren. Hierauf hätte ihn die Beklagte deshalb umgehend aufmerksam machen müssen.

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bb) Gemäß § 115 Abs. 6 Nr. 1 SGB VI sollen die Träger der Rentenversicherung die Berechtigten in geeigneten Fällen darauf hinweisen, dass sie eine Leistung erhalten können, wenn sie diese beantragen. Die Verletzung dieser Verpflichtung begründet einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch auch dann, wenn – wie hier - die nach § 115 Abs. 6 Satz 2 SGB VI vorgesehenen gemeinsamen Richtlinien der Rentenversicherungsträger im Zeitpunkt der Entstehung des Rentenanspruchs noch nicht vorlagen (vgl. BSG SozR 3-2600 § 115 Nr. 5).

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Die Geeignetheit einer Fallgruppe richtet sich im Wesentlichen nach folgenden Merkmalen: Für den Versicherungsträger muss ohne einzelfallbezogene Sachaufklärung erkennbar sein, dass ein abgrenzbarer Kreis von Berechtigten die Anspruchsvoraussetzungen für eine Leistung erfüllt, die von solchen Personen im Regelfall in Anspruch genommen wird. Ferner muss für ihn ein Informationsbedürfnis der Betroffenen dadurch ersichtlich sein, dass die Angehörigen einer abgrenzbaren Gruppe von Versicherten den Rentenantrag aus Unwissenheit nicht stellen (vgl. BSGE 81, 251 = SozR 3-2600 § 115 Nr. 2; BSG SozR 3-2600 § 115 Nr. 4). Das ist i. d. R. bei Fällen anzunehmen, in denen der Versicherungsträger im Zeitpunkt der Erfüllung der allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen das Fehlen eines entsprechenden Antrags feststellt. Denn gehört ein Versicherter zu einer abgrenzbaren Gruppe von Versicherten, die eine solche Rente im Allgemeinen vom frühestmöglichen Zeitpunkt an beziehen, so lässt das Fehlen eines Rentenantrags im Monat der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen den Schluss zu, dass dies auf Unkenntnis des betreffenden Versicherten beruht (vgl. BSG SozR 3-2600 § 115 Nr. 5).

39

Eine Hinweispflicht der Beklagten nach § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI besteht nach § 1 der inzwischen erlassenen "Gemeinsamen Richtlinien der Rentenversicherungsträger gemäß § 115 Abs. 6 Satz 2 SGB VI " (vgl. DAngVers 1998, S. 449) in Fällen der Regelaltersrente i. S. d. § 35 SGB VI . Sie kann sich darüber hinaus auch auf die Altersrente für langjährig Versicherte i. S. d. § 36 SGB VI beziehen (vgl. BSG SozR 3-2600 § 115 Nr. 5 m. w. N.). Nach Auffassung des Senats ist sie ferner gegeben, wenn Versicherte, die bereits Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit beziehen, einen Anspruch auf Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige i. S. d. § 37 SGB VI erwerben (ebenso LSG Rheinland-Pfalz v. 23. Februar 2000 - L 6 A 123/98 ). Die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen dieser Rentenart kann ohne einzelfallbezogene Sachaufklärung anhand der gemäß § 149 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB VI im Versicherungskonto zu speichernden Daten (Geburtsdatum; Schwerbehinderung, Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit; Wartezeit von 35 Jahren) ermittelt werden. Liegen sie vor, so gehört der Berechtigte mithin zu einer geeigneten Fallgruppe im Sinne des § 115 Abs. 6 Nr. 1 SGB VI . Das war hier der Fall. Die Beklagte konnte auch feststellen, dass der Kläger noch keinen Rentenantrag gestellt hatte. Sie war somit spätestens im Dezember 1997 grundsätzlich verpflichtet, dem Kläger einen Hinweis gemäß § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI zu geben.

40

Die sich aus dieser Bestimmung ergebende Verpflichtung kann zwar in atypischen Fällen ausgeschlossen sein, weil es sich um eine Soll-Vorschrift handelt. Ein solcher atypischer Fall ist hier jedoch nicht gegeben. Zwar war der Kläger am 12. Februar und 13. August 1997 bereits durch R. über die Möglichkeit und die Voraussetzungen einer Inanspruchnahme der Altersrente für Berufsunfähige beraten worden. Diese Beratung hatte sich jedoch insbesondere hinsichtlich des Rentenbeginns als unrichtig erwiesen, weil R. noch fälschlich davon ausgegangen war, dass die 35-jährige Wartezeit erst im Dezember 1997 erfüllt sein werde. Unter diesen Umständen durfte die Beklagte nicht ungeachtet des fehlenden Rentenantrages davon ausgehen, dass der Kläger hinreichend informiert sei oder sich fehlende Kenntnisse durch die allgemein gehaltenen Erläuterungen zum Rentenbescheid vom 1. Dezember 1997 verschaffen könne.

41

b) Der pflichtwidrig unterlassene Hinweis der Beklagten gemäß § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI war auch ursächlich dafür, dass der Kläger den Antrag auf Altersrente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht im Dezember 1997 gestellt hat. Es sind keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, dass das diesbezügliche Vorbringen des Klägers nicht zutrifft.

42

c) Der schließlich erforderliche Schutzzweckzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Nachteil ist hier ebenfalls gegeben. Die Hinweispflicht nach § 115 Abs. 6 Satz 1 SGB VI bezweckt gerade, eine rechtzeitige Antragstellung zu fördern und dadurch den Verlust von Rentenzahlungsansprüchen zu verhindern.

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IV. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG .

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V. Die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.